Sag niemals nie!
Hatte ich in meinem Rennbericht von 2012 wirklich geschrieben, dass ich hier in Hawaii nicht noch einmal starten möchte? Na ja, so ganz kategorisch war das wohl nicht. Sag niemals nie!
Wir schreiben das Jahr 2016 und ich stehe mit gut 2300 weiteren Triathleten am Pier von Kailua Kona, Hawaii, kurz vor dem Start zu einer weiteren Auflage der Ironman World Championship. Einiges hat sich geändert seit meinem ersten Start hier im Jahr 2003. Die Startnummern werden nicht mehr mit Stempeln auf die Oberarme gedruckt, sondern als entfernbare Tattoos aufgebracht. Das dauert leider noch länger als die Stempelei der vergangenen Jahre. Außerdem gibt es keinen Massenstart mehr, sondern es wird in vier Gruppen gestartet, die Profi-Männer, die Profi-Frauen, die Alterklassen-Männer und die Alterklassen-Frauen. Aber vieles ist unverändert: die Strecken, der Wind, die Hitze, die Ungewissheit und die Spannung darauf, was der Tag bringen wird.
Nach einer wie immer unruhigen Nacht, einem kleinen Frühstück und den letzten Rennvorbereitung fällt für die Altersklassen-Männer und somit auch für mich der Startschuss um 6:55. Die Profi-Männer und Profi-Frauen sind schon ab halb sieben gestartet und daher inzwischen bei den Wendeschiffen. Die See ist verhältnismäßig ruhig, sodass mir die Orientierung recht leicht fällt. Leider finde ich kein Paar Füße, an das ich mich dauerhaft hängen könnte. Alles was vor mir auftaucht ist entweder zu langsam oder schwimmt meiner Ansicht nach kreuz und quer. Die Bojen sind recht weit auseinander und ich muss häufig nach vorne schauen und suchen, um mich auf die nächste Boje einzunorden. Endlich ist das erste Wendeschiff, die Body Glove, erreicht. Mit der Body Glove waren wir wenige Tage zuvor noch zum Schnorcheln an der Küste entlang gefahren. Trotz mäßigem Seegang ging’s mir bei diesem Ausflug sehr schlecht, aber das ist eine andere Geschichte. Jetzt bin ich froh, knapp die Hälfte geschafft zu haben. Im weiteren Verlauf geht es an einem Marine-Schiff vorbei und dann zurück zum Pier. Ein paar hundert Meter vor dem Pier rauschen die ersten Altersklassen-Frauen an mir vorbei. Die sind 15 Minuten nach uns gestartet und so schnell, dass ich gar nicht erst versuche, mich dranzuhängen. Nach 1h18 habe ich wieder festen Boden unter den Füßen und der ungeliebte erste Teil ist geschafft.
Unter den Duschen hinter dem Schwimmausstieg spüle ich mir schnell das Salzwasser runter und lasse mich von den Helfern mit Sonnencreme einschmieren. Im Gegensatz zu meinen Teilnahmen 2003 und 2012 sind die Helfer dieses Jahr sehr sparsam mit Sonnencreme und ich muss mehrfach bitten, dass auch Schultern und Nacken eingeschmiert werden. Sodann erfolgt der Wechsel auf das Rad.
Die Radstrecke verläuft wie seit vielen Jahren zunächst durch Kona und dann über den Queen Ka’ahumanu Highway bis zum Wendepunkt in Hawi. Dass der Gegenwind auf dem Weg nach Hawi im Laufe des Vormittags immer stärker wird ist ja normal, aber dieses Jahr ist der Wind bereits kurz hinter Kona recht kräftig, sodass mein Tacho auf den leichten Anstiegen bereits deutlich unter 30km/h fällt. Nicht so erbaulich. Auf dem Schlussanstieg nach Hawi, etwa 30 km vor dem Wendepunkt, kommen mir die ersten Profis mit atemberaubender Geschwindigkeit entgegen, während ich hart am Berg und Gegenwind kämpfe. Doch schließlich erreiche ich auch den Wendepunkt. Die Abfahrt mit böigem Rücken- und Seitenwind ist recht spannend und bei so mancher Böe nutze ich einen erheblichen Anteil der gesamten Straßenbreite. Leider hält der Rückenwind nicht sehr lang an. Da der Wind über die Mittagszeit dreht, darf ich recht bald wieder gegen den Wind ankämpfen. Auch die Temperaturen steigen auf weit über 30 Grad und mein Schädel beginnt zu brummen, trotz intensiver Wasserkühlung an jeder Verpflegungsstation. So bleibt es denn auch bis zur Wechselzone in Kona. Das drückt den Schnitt und so brauche ich für die 180km knapp 5 Stunden und 40 Minuten. Nicht sehr zufriedenstellend, aber angesichts des Windes ganz in Ordnung und vor allem ohne Plattfuß und Sturz!
Auch beim zweiten Wechsel lasse ich mich noch einmal eincremen, weil ich bereits jetzt die Folgen der intensiven Sonneneinstrahlung spüre. Von den Schultern her riecht es schon etwas angebrutzelt. Das Laufen gehe ich locker an, weiß ich doch, dass sich mein rechtes Knie irgendwann mit Schmerzen melden wird. Das an jeder Verpflegungsstation angebotene Eis nutze ich, um den Kopf zu kühlen und so bekomme ich alsbald die Kopfschmerzen in den Griff. Erfreulicher Weise meldet sich das Knie erst nach 17 Kilometern. Mit den Erfahrungen vom Ironman Zürich weiß ich, dass die Schmerzen mit ein bisschen Gymnastik in einem komfortablen Bereich bleiben. So führe ich an jeder Verpflegungsstation neben den Kühl- und Trinkaktivitäten auch noch eine kurze Gymnastikeinheit durch. Die Renneinteilung passt und auf der zweiten Hälfte der Laufstrecke kann ich auch den Weg vom Energy-Lab hoch zum Highway noch laufend bewältigen. Am Ende des Queen Ka’ahumanu Highway, ca. 3 km vor dem Ziel, hat unser Reiseveranstalter Hannes seine Partymeile aufgebaut. Hier ist auch Tina und begleitet mich ein kurzes Stück. Meine Kalkulationen ergeben, dass ich mit dem aktuellen Tempo nach knapp über 11 Stunden im Ziel wäre. Negativ! Animiert durch die Riesenstimmung auf der Partymeile pfeife ich auf Kniegymnastik und Kühlung und presse das letzte aus den Beinen.
Es reicht! Nach 10 Stunden 58 Minuten bin ich im Ziel. Die Sonne steht gerade noch so am Horizont, also Daylight Finish! Gut so! Im Ziel ist mir etwas schwindelig, was ich fataler Weise auf Anfrage den zugeteilten Begleitern berichte und so bringen sie mich gleich ins Sani-Zelt. Eigentlich nicht schlecht, denn hier gibt es eine bequeme Liege, mir werden Wasser, Iso-Getränk, Cola und Suppe gereicht und nach einer kurzen Untersuchung darf ich dann in den Athlet-Garden, wo ich mich weiter verpflege, insbesondere mit Eis, diesmal aber Speiseeis 😉
Warum habe ich mehrmals über das Eincremen berichtet? Weil das immer noch nicht genug war oder das Zeug vielleicht auch nicht taugt. Im Ziel hatte ich richtige Brandblasen auf Schulter und Oberschenkel. Na ja, wird auch wieder vergehen. Zum Schluss noch die genauen Fakten:
1:18:10 für 3,86 km Schwimmen
0:04:14 für den Wechsel vom Schwimmen zum Radfahren (dabei sind ein paar 100 Meter zu laufen)
5:39:34 für 180 km Radfahren
0:05:27 für den Wechsel vom Radfahren zum Laufen (dabei sind wieder ein paar 100 Meter zu laufen)
3:50:52 für 42,2 km Laufen
Gesamtplatzierung: 1057
Platzierung in der M50: 75 (von 203)
Aloha!
Euer Norbert
PS: „Swim 2.4 miles, bike 112 miles, run 26.2 miles- BRAG FOR THE REST OF YOUR LIFE. “ — John Collins, IRONMAN Founder